Der Giftschmecker (German Edition) by Fletcher Moss

Der Giftschmecker (German Edition) by Fletcher Moss

Autor:Fletcher Moss [Moss, Fletcher]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Carlsen
veröffentlicht: 2014-07-21T22:00:00+00:00


Dalton bewegte sich auf Zehenspitzen vorwärts und versuchte möglichst leise zu atmen.

»Könnte Eppington sein«, hauchte Sal neben ihm.

Dalton nickte. »Könnte sein.« Andere Möglichkeiten wollte er gar nicht erst erwähnen – oder auch nur andenken. Wenn Pallis Tench sich bereits im Gebäude befand, war Eppington vielleicht längst tot. Oder lag im Sterben. Erstickte vielleicht gerade oder ertrank, die Lunge voller Blut. Dalton blinzelte die Vorstellung weg und blieb vor der Tür stehen. Eine Bibliothek, wie Scarlet gesagt hatte, ehrwürdig und von Kerzen erhellt. Weitere Korridore zweigten davon ab, ebenfalls mit geschlossenen Zimmertüren. In der Raummitte beugte sich in einer Nische zwischen zwei hohen Bücherregalen eine dunkle Gestalt über ein Buch. Es war nicht Pallis Tench, so viel ließ sich im flackernden Licht erkennen.

Dalton wurde bewusst, dass er die Luft angehalten hatte, und atmete langsam aus. Dann schlich er über den polierten Holzfußboden der Bibliothek. Sal und Scarlet folgten ihm. Die Gestalt sah erschrocken auf. Ein Mädchen. Einen Moment lang herrschte Stille.

»Wer seid ihr?«, fragte sie. Ihre Haut war dermaßen dreckig, dass ihre Augen und Zähne in den Schatten zwischen den Bücherreihen zu schweben schienen. Ihre Haare waren zu zwei Knoten nach hinten gebunden. Sie war klein und stämmig und stand breitbeinig da wie ein Junge, die nackten Zehen nach außen gestreckt.

Dalton antwortete als Erster.

»Wir suchen nach jemandem namens Eppington«, sagte er.

»Das bin ich. Aber ich höre nicht auf diesen Namen«, sagte das Mädchen und legte das Buch hin. »Ich heiße Luke.«

Dalton war sprachlos. Sal wurde rot und sah in seine Karte.

»Aber du bist ein Mädchen«, sagte Scarlet und zog die Augenbrauen hoch.

Das Mädchen zwischen den Büchern lachte – kurz und bitter. »Sieh dich doch um, Schwester. Wir sind die Unterdrückten. Die Ausgeschlossenen. Ich habe entschieden, mich von dem männlich dominierten Stadtstaat nicht knechten zu lassen. Ich kündige mein Mädchensein auf – und weder ihr noch sonst jemand kann mich daran hindern.«

»Mädchensein«, wiederholte Scarlet und runzelte die Stirn.

»Ja!« Sie stampfte mit dem Fuß auf. »Haben wir nicht auch Verstand? Bestehen wir nicht aus Fleisch und Blut und – Gehirn? Jawohl, Gehirn! Wir denken!« Sie unterstrich ihre Worte mit heftigen Gesten. »Und doch erleiden wir die Schmach der Sklaverei!«

»Die was?«, fragte Dalton. Sie redete so schnell, spuckte ihre Worte mit solcher Wucht, dass er kaum folgen konnte. Wahrscheinlich hatte sie diese Rede tausendmal geübt.

Sie schüttelte langsam den Kopf und seufzte. »Das verstehst du ja doch nicht, du unterdrückerischer Schuft.«

»Hör zu«, sagte Dalton. »Wir haben nicht viel Zeit. Wir suchen nach jeman… – einer Person namens Eppington. Bist du das?«

Sie nickte. »Bin ich. Aber ihr müsst Luke zu mir sagen. Das Geschlecht ist nur ein Konstrukt. Und ich für meinen Teil habe den Entschluss gefasst«, hier schlug sie mit der Faust in die Handfläche, »mein Leben nicht als Sklavin der Erwartungen unserer Stadt zu beschließen.«

Scarlet streckte ihr freundschaftlich die Hand hin. »Also da sind wir uns einig«, sagte sie mit einem nervösen Lächeln. Luke schüttelte ihr die Hand und guckte nicht mehr ganz so finster. Scarlet rieb sich die Hand an der Hose sauber. »Was hast du gemacht?«, fragte sie und deutete auf Lukes geschwärzte Haut.



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